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Durch das Gemeinwohlprinzip sind Werte wie menschliches Zusammenleben und Solidarität, Ökologie und Mitentscheid der Bürger in den Mittelpunkt des politischen Denkens und Handelns gerückt. „Ich weiß noch nicht, wie sich das alles entwickeln wird und ob sich im Leben des Einzelnen viel verändert hat – auf der politischen Ebene durch die Transparenz und Mitbestimmung aber schon“, berichtet der Bürgermeister weiter. Andere Gemeinden oder Stadtteile, wie Navalagamella bei Madrid, Alboraya in Murcia, Muro de Alcou in Alicante und Rubí in Barcelona folgten diesem Beispiel. Die Resonanz der Bürger auf mehr gelebte Demokratie und Transparenz ist sehr positiv. Unabhängige Forschungsgruppen der Universitäten Kiel und Flensburg überprüfen derzeit die Machbarkeit einer Gemeinwohlbilanz in DAX-Konzernen. Selbst in der EU in Brüssel ist eine Kommission mit dem Thema beschäftigt und in der Schweiz gibt es aktive Untergruppen. Dabei ist das Gemeinwohlprinzip kein Steckenpferd ultralinker oder grüner Parteien, sondern weckt durchaus auch das Interesse konservativer Politiker. An der Universität von La Laguna referierte kürzlich einer der Vordenker dieser Wirtschaftsform: Christian Felber. Er gab uns Einblicke in dieses spannende Modell.
Glück kommt vor Profit
Was ändert sich in einem Unternehmen, das sich am Gemeinwohl orientiert? Auch ein solches Unternehmen hat einen Chef und Mitarbeiter, eine Hierarchie. Allerdings steht nicht mehr der maximale Gewinn, sondern das maximale Gemeinwohl an erster Stelle. Das bedeutet auch, dass Chef und Mitarbeiter zwar durchaus, je nach Leistung und Qualifikation, unterschiedlich verdienen, aber die Kluft ist nicht mehr so groß. Generell wird ein Unternehmen nach verschiedenen Kriterien bewertet. Das heißt zum Beispiel, wie innovativ, nachhaltig und ethisch handelt ein Unternehmen. Haben Arbeitnehmer ein demokratisches Mitbestimmungsrecht, werden die Arbeitszeiten eingehalten, sind die verwendeten Rohstoffe nachhaltig und wird Geld eingesetzt, das nicht von spekulativ arbeitenden Banken kommt? Es würde enger mit lokalen Herstellern und Erzeugern zusammengearbeitet. Faire Preise und soziales Engagement sind weitere Kriterien. Aus allen Faktoren wird die Gemeinwohlbilanz erstellt. Je nachdem wie gut sie ausfällt, erhält das Unternehmen Steuervergünstigungen und Förderungen. Je ethischer ein Unternehmen arbeitet, umso mehr Vergünstigungen bekommt es. „Unsere aktuelle Wirtschaft basiert auf Gier, Geiz, Rücksichtslosigkeit und Gewinnstreben. Wir streben das genaue Gegenteil an, Aspekte wie Kooperation, Respekt und Großzügigkeit zu belohnen und daraus eine ethische Wirtschaftsordnung zu schaffen“, beschreibt Felber die Idee. „Nach unserem Modell gibt es eine Grundsicherung für jeden. Wir möchten Arbeitszeiten von 20 bis 30 Stunden pro Woche. Das würde die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gezielt stärken. Auch Männer hätten mehr Zeit für Familienleben und jeder Einzelne mehr Zeit für soziales Engagement. Zudem gäbe es Arbeit für alle. Alle zehn Jahre sollte es ein Sabbatjahr geben. Insgesamt würde die Gesellschaft fairer, sozialer, liberaler und integrativer. Die Menschen hätten mehr Lebensqualität“, erklärt Christian Felber weiter. „Die Folge wären zufriedenere, engagiertere Mitarbeiter und ein geringerer Krankenstand.“
Glück als Programm
Sozialdenken statt Konsumdenken, Gemeinwohl statt Profit, Transparenz und Demokratie statt Korruption und Vetternwirtschaft sowie Chancengleichheit für alle – das sind die Grundprinzipien der liberalen Marktwirtschaft. Nach Felbers Modell würde sich jeder Einzelne mit seinen Stärken freiwillig in die Gemeinschaft einbringen. Das heißt engere soziale Netzwerke und der Konsum ginge vermutlich zurück, weil sich die Menschen untereinander Dinge schenken oder füreinander sorgen. Dazu gehören auch die Sorge um Kinderbetreuung und ältere Menschen. Der Import von Lebensmitteln würde wegen der Umweltbelastung stark reduziert. Das Konzept sieht vor, Erzeugnisse aus dem eigenen Umfeld zu konsumieren und dafür faire Preise zu zahlen, anstatt Lebensmittel auf den Straßen oder per Flugzeug von A nach B zu transportieren. Dementsprechend würde eine Umweltbilanz erstellt. Dabei ist der sorgsame Umgang mit den Ressourcen der Erde der zentrale Messwert. Demnach wird dann ein Budget verteilt, das zum Beispiel auch das Reisen reguliert. „Fliegen ist aus ökologischer Sicht umweltbelastend und das würde dann nicht mehr so häufig gehen, wie im Moment“, räumt Felber ein. Stattdessen würde es je nach Umweltbonus Kontingente geben. Auch im Finanzsystem setzt Felber neue Akzente: Im Dezember 2014 wurde eine Genossenschaft gegründet, die zur ersten „Gemeinwohl-Bank“ werden soll und später die Gründung von Gemeinwohl-Börsen initiieren soll, die sinnvolle, praktische und ethische Unternehmen fördern. Derzeit stößt die Bewegung vor allem in Spanien, Österreich, in der Schweiz, in Deutschland und Norditalien auf große Resonanz. Unternehmer aus ganz verschiedenen Branchen interessieren sich für den neuen Ansatz und die Universität Valencia hat sogar die Einrichtung eines Lehrstuhls für Gemeinwohl-Ökonomie beschlossen. Der König von Bhutan hat freiwillig auf einen Teil seiner Macht und Wohlstandes verzichtet. Schon seit Jahrzehnten findet dort ein Umdenken statt. Er hat das Bruttonationalglück an oberste Stelle gesetzt und zur Staatsaufgabe gemacht. Glück sei wichtiger als Geld, Wirtschaft und Entwicklung. Bhutan ist zwar nur ein kleines Königreich zwischen China und Indien, aber die Erfahrungswerte, die dort gemacht werden, können auch anderen Ländern ein Beispiel sein. Die Bewegung hat sich in nur fünf Jahren in über 40 Staaten ausgebreitet und strebt eine Demokratisierung des Völkerrechts in Richtung Menschenrechte, Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsziele an.
Kurzbiografie Christian Felber
Univ.-Lektor Mag. Christian Felber ist gefragter Referent im In- und Ausland, Mitbegründer von Attac Österreich, vielfacher Buchautor und freier Tänzer. Regelmäßige Kommentare in zahlreichen österreichischen Tages- und Wochenzeitungen. Buchveröffentlichungen: „50 Vorschläge für eine gerechtere Welt. Gegen Konzernmacht und Kapitalismus“ (Deuticke 2006, 8. Auflage); „Neue Werte für die Wirtschaft. Eine Alternative zu Kommunismus und Kapitalismus“ (Deuticke 2008, 3. Auflage); „Kooperation statt Konkurrenz. 10 Schritte aus der Krise“ (Deuticke 2009); „Gemeinwohl-Ökonomie“ (Deuticke 2010, zweite Neuausgabe 2014, internationale Gesamtauflage 70.000 Stück) Der Titel „Geld. Die neuen Spielregeln“ wurde als Wirtschaftsbuch des Jahres 2014 ausgezeichnet. Seit 2008 Lektor an der Wirtschaftsuniversität Wien. Er initiierte den Aufbau der „Gemeinwohl-Ökonomie“ und des Projekts „Bank für Gemeinwohl“. Der 1972 geborene Salzburger studierte Spanisch, Psychologie, Soziologie und Politikwissenschaft in Madrid und Wien, wo er heute lebt. Mehr Infos unter Christian Felber: www.christian-felber.at, zum Thema Gemeinwohl-Ökonomie unter www.ecogood.org und zum Projekt zur Gründung einer Bank für Gemeinwohl auf www.mitgruenden.at.