|
Michael, sie engagieren sich auch ehrenamtlich in dieser Multiversity, was bewegt sie dazu?
Ich bin ein aktiver Mensch, der zwar aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr mit anpacken kann, aber immerhin noch theoretisch mein Wissen weitergeben möchte. Außerdem blicke ich auf jahrzehntelange Erfahrung im internationalen Handel zurück und denke, dass es gerade jetzt in der Krise auch sehr viele Möglichkeiten gibt, um Dinge zum Besseren zu wenden. Wenn ich durch meine berufliche Qualifikation etwas dazu beitragen kann, dann wäre ich gerne bereit, mein „Sandkörnchen“, „Granito de Arena“, wie die Spanier sagen, beizutragen. Die Multiversity ist dabei eine sehr gute Plattform. Denn sie bringt momentan reife Wissenschaftler aus aller Herren Länder mit interessierten und qualifizierten Einheimischen an einen Tisch. Jeder kann mitmachen – das ist ein internationaler Kreis mit vielen Vernetzungen rund um den Globus.
Wie kann man sich das vorstellen? Geht es nur um Vorträge oder auch um andere Aktivitäten?
Die Mulitversity ist mit rund zwei Jahren noch recht jung. Das heißt, im Vorfeld mussten wir zunächst einmal Informationsarbeit leisten. Da der Sitz noch nicht genau festgelegt ist, unterscheiden wir zurzeit zwischen Konferenzen in der Uni in La Laguna plus unterstützende Veranstaltungen für Studenten im Erasmus Programm, Gesprächsrunden (Think Tanks) zwischen Politik, Bildung und Wirtschaft in La Casona in Tacoronte und den Aktivseminaren (Workshops) im Maritim in Puerto de La Cruz. Die nächste Veranstaltungsreihe wird im November stattfinden. Doch gerade jetzt im Frühjahr haben wir schon das erste Ergebnis, das derzeit schon in der Umsetzung ist. Unsere Workshops setzen ein aktives Mitarbeiten der Teilnehmer voraus. Das heißt, Ideen werden zusammengetragen und dann wird überlegt, wie Innovationen in die Tat umgesetzt werden können. Zum Beispiel fanden sich beim letzten Mal drei Deutsche und ein Canario und setzten sich zusammen. Innerhalb von wenigen Stunden hatten sie eine Idee und ein Konzept entwickelt. Es handelt sich dabei um die Verarbeitung eines einheimischen Produktes und die spätere Vermarktung in Deutschland oder anderen europäischen Märkten. Die Umsetzung der Idee ist bereits in vollem Gange. Da es aber noch nicht abgeschlossen ist, möchte ich nicht detaillierter vorgreifen. Es gilt noch Copyrights zu sichern und Ähnliches. Selbst die Finanzierung des Projekts stand, dank eines Bottom – Up Workshops, der parallel stattfand, innerhalb kürzester Zeit.
Die Multiversity arbeitet auch an Konzepten, wie die Ausbildung der Jugend besser in Angriff genommen werden könnte. Was kann man darunter verstehen und gibt es auch in diesem Bereich Fortschritte?
Mittelfristig ist das Ziel, in Spanien eine duale Berufsausbildung nach deutschem Vorbild einzuführen. Das heißt, einen Teil der Ausbildung im Betrieb, einen Teil als theoretisches Fachwissen in der Schule. Das ist allerdings ein längerer Prozess, der in Angriff genommen werden muss und Zeit braucht. Derzeit gibt es ja keine Gesellen oder gar Meister, die einen Lehrling ausbilden könnten. Obwohl auch da bei Menschen mit langjähriger Berufserfahrung durchaus eine Art Ausbildereignungsprüfung denkbar ist. Trotzdem müssen alte Strukturen aufgebrochen und reformiert werden und das dauert. Aber auch die Inselregierung ist an dieser Umstellung interessiert und unterstützt die Idee, wenngleich es eher schleppend vorangeht. Oder es gäbe die Möglichkeit, arbeitslose Krankenschwestern in Deutschland gezielt für die Altenpflege zu schulen. Dann könnte man auf den Kanaren das Thema betreutes Wohnen für Senioren viel mehr fördern. Das ist ein echter Zukunftsmarkt. Warum müssen die Senioren bis nach Thailand, wenn die Rente in Deutschland nicht für die Pflege reicht. Auf den Kanaren könnte man den Service unter deutschen Standards bei gesünderem Klima günstiger anbieten und es ist näher an der Heimat für die Angehörigen, die zu Besuch kommen möchten. Ein weiterer Punkt ist beispielsweise, die duale Ausbildung von Studenten, wie in einer Berufsakademie. Das heißt, deutsche Firmen finanzieren einen kanarischen Studenten. Er absolviert so lange ein Semester Theorie, ein Semester Praxis, bis die Ausbildung erfolgreich beendet ist. Im Gegenzug verpflichtet sich der Studierende, nach dem Abschluss vier Jahre lang für das Unternehmen zu arbeiten. Hält er das nicht ein, zahlt er für jedes Jahr, das er früher aufhört, ein Viertel der Vorfinanzierung zurück. Das finde ich eine faire Sache, da ich diesen Prozess selber an der OBI-Akademie für meine TOP II Management Weiterbildung genutzt habe. Doch in der Umsetzung hapert es oft. Ich sehe in der Praxis, dass die jungen kanarischen Mitbürger oft eine falsche Vorstellung von ihrer Zukunft haben. Vor allem fällt ihnen der Gedanke schwer, die Insel zu verlassen. Ihnen wäre es lieber von hier aus für die Deutschen zu arbeiten. Aber so funktioniert das meistens nicht. Ein weiterer Punkt ist die Bereitschaft eine Fremdsprache zu lernen. Natürlich muss ich Deutsch lernen, wenn ich in Deutschland arbeiten möchte und je höher der Ausbildungsgrad, umso wichtiger ist es, sich artikulieren zu können. Gerade in diesem Bereich könnten meine kanarischen Mitbürger auch die viel gerühmte trikontinentale Schlüsselposition der Kanaren für sich nutzen. Es gibt viele deutsche Unternehmen, die an einer Expansion nach Latein- und Südamerika sowie Afrika interessiert sind. Gut ausgebildete Canarios, die sich in Deutschland das Know how erarbeitet haben und dann in Südamerika sowohl durch ihre Muttersprache, als auch durch die ähnliche Mentalität schneller Zugang zu den Menschen finden, wären für beide Seiten eine Ideallösung. Ich sage ja nicht, dass die jungen Leute für immer den Archipel verlassen sollen. Aber ein paar Jahre im Ausland als Chance zu nutzen, um dann wieder hier vor Ort die Folgegeneration auszubilden, ist durchaus sinnvoll. Leider fehlt es bei vielen Studenten an der Bereitschaft und dem Biss, diesen Schritt zu wagen. Ich würde mir wünschen, dass wir noch mehr junge Menschen vermitteln könnten. Ich würde zum Beispiel auch gerne eine Bildungsmesse organisieren, auf der Firmen und Institutionen aus Europa, Interessierten ihre Option auf Arbeit und Ausbildung präsentieren könnten. Ich kenne etliche internationale Unternehmen, die daran Interesse hätten. Seitens der Regierung bräuchte ich dafür nur die Zusage, die Messehalle und Stände nutzen zu können. Aber auch in dieser Richtung sind die Bewegungen nur langsam.
Sie sind auch in anderen Bereichen beratend tätig. Wo sehen Sie Potenzial, das nicht ausgeschöpft wird?
Mein Fachgebiet ist die Agrarwirtschaft und natürlich erkenne ich gerade in diesem Bereich viele Kapazitäten, die überhaupt nicht genutzt werden. Vieles ist noch nicht einmal kosten- und aufwandintensiv. Nehmen wir nur einmal die vielen brachliegenden Felder. Das ist Fläche, die nicht genutzt wird, dabei wäre der Bedarf vorhanden. Im Jahr 1985 wurden beispielsweise 42 Prozent des täglichen Bedarfes auf die Kanaren importiert. Im letzten Jahr waren es 92 Prozent! Natürlich ist in der Zwischenzeit aufgrund der Urlauberzahlen der Bedarf gestiegen, aber schaut man sich auf den Inseln einmal genauer um ist nicht zu verstehen, weshalb hier beispielsweise Cherry-Tomaten vom Festland verkauft werden müssen. Ganz abgesehen davon, dass ungenutzte Felder stark von der Bodenerosion betroffen sind und wertvolle Erde abgetragen wird, kann die Landwirtschaft jungen Menschen eine echte Perspektive geben, wenn sie sinnvoll betrieben wird. Zum Beispiel die Maracuja: Sie wird auch in Deutschland als Mark gerne verarbeitet. Man nutzt sie für Säfte, Joghurts, als Aromaverstärker und vieles mehr. Dieser Markt ist noch nicht gedeckt und böte durchaus noch Absatzmöglichkeiten für kanarische Produkte. Ich war beispielsweise im Frühjahr auf der „Grünen Woche“ in Berlin. Das ist die größte Lebensmittelverbrauchermesse überhaupt. Dort stand ich einem sehr gut aufbereiteten und eindrucksvollen Stand der Marokkaner gegenüber. Von den Canarios war nichts zu sehen. Sie waren einfach nicht da. Da muss man sich nicht wundern, wenn Marokko den Archipel in puncto Agrarexport überholt. Außerdem werden Landwirte und der Handel mit Agrarerzeugnissen in Nordafrika gefördert und nicht wie hier oft mit bürokratischen Stolpersteinen ausgebremst. Auch da sehe ich echtes Veränderungspotenzial. Oder nehmen wir das Beispiel mit den Bananen, die erst kürzlich auf La Palma tonnenweise in den Barranco geworfen wurden, weil der Absatzpreis gerade im Keller war. Da frage ich mich, wo sind die Trocknungsanlagen, um diesen Überschuss zu trocknen und auf diese Weise zu vermarkten. Das wäre sogar eine Option zur Ernährung von hungernden Menschen in Afrika. Warum nicht der Weltgesundheitsorganisation anbieten? Vielleicht erzielt man nicht den Gewinn, wie mit der unverarbeiteten Frucht, aber man hat zumindest mehr davon, als von Bananen, die im Barranco verrotten. Warum machen wir daraus nicht Likör, Marmelade, Chutney oder sonst etwas, das noch gegessen und verkauft werden kann. Bedenkt man allein, wie viele Spanier mittlerweile in Deutschland, Österreich und der Schweiz leben, gäbe es auch dort bestimmt Händler, die kanarische Produkte ins Sortiment aufnähmen, um die Gelüste aus der Heimat zu stillen. Außerdem finde ich, dass die Landwirtschaft generell mehr gefördert werden müsste, um den jungen Menschen einen Anreiz zu geben, sich in diesem Bereich einzusetzen. Es müssen nicht Subventionen sein. Ein Fair Trade Denken wäre schon der erste Schritt seitens Verbraucher und Handel. So lange aber die billigste Kartoffel tausende Kilometer verschifft wird, damit man das Supersonderangebot im All-Inklusive-Hotel noch betriebswirtschaftlich realisieren kann, wird es mit der Änderung dauern. Wir sind auch ziemlich bequem geworden. Würde man beispielsweise eine Art Umweltplakette mit Strafzöllen für die Produkte, für deren Herstellung und Transport viel CO2-Ausstoß in Kauf genommen wurde, einführen, würden die kanarischen Erzeugnisse wieder mehr im Ansehen steigen. Hier, wo so vieles wächst, sollte man das auch nutzen. Das würde die Super- und Bauernmärkte mit Frischem aus der Region versorgen. Viele Menschen hätten wieder Arbeit, die Geld einbringt. Die Bodenerosion würde gestoppt und die bewirtschafteten Felder sind außerdem noch ein schöner Anblick für die Touristen. Viele Fliegen würden mit einer Klappe geschlagen.
Jetzt wäre die Chance, neue Wege zu gehen, umzudenken, kreativ zu sein und Teile des Systems zu reformieren. Nur auf den Tourismus zu setzen ist nicht genug. Landwirtschaft, erneuerbare Energien, trikontinentaler Handel und viele andere Bereiche haben durchaus ein Wachstumspotenzial, das momentan ungenutzt, beziehungsweise noch nicht ausgeschöpft ist. Außerdem müssten auch einige Handelsgesetze überarbeitet werden, die zurzeit Unternehmer eher bremsen, als fördern. Auch da gibt es noch sehr viel zu tun. Nicht das politische Parteibuch oder die persönliche Eitelkeit darf dabei im Vordergrund stehen, sondern die Erkenntnis, dass kurzfristig nachhaltige Lösungen zum Wohle der Beschäftigungsförderung und Bildung geschaffen werden.
Herr Frings, wird danken Ihnen für dieses Gespräch und hoffen, dass Ihre Ratschläge zum Besten aller, gelesen werden und vielleicht auch Anstoß geben.
Von Sabine Virgin