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In diesem Jahr feiert Domingo Jorge González Expósito sein eigenes kleines Jubiläum. Seit 20 Jahren ist er der künstlerische Direktor der Alfombras von La Orotava.
Don Domingo, wie wird man eigentlich Sandkunst-maler in La Orotava?
Ich selbst bin der Direktor der städtischen Kunstschule in La Orotava und gebe Schülern und Jugendlichen Kunstunterricht. Seit 20 Jahren bin ich außerdem der künstlerische Direktor des Sandteppichs. Oft ergeben sich aus den Malklassen junge Talente, die Lust haben, an der Gestaltung der Teppiche teilzunehmen. Oder die Kinder und Enkel derjenigen, die schon seit Generationen mitmachen, entwickeln ihrerseits Interesse, sich ebenfalls an dieser Tradition zu beteiligen. Nachwuchssorgen haben wir bislang nicht. Obwohl diese Arbeit viel Zeit in Anspruch nimmt. Rund 45 Tage lang arbeiten wir an der Gestaltung des Teppichs. Kurz nach Ostern geht es los. Etwa 20 „Alfombristas“, wie die Sandmaler genannt werden, gehören zu unserem Team. Die allermeisten opfern ihre Freizeit, um dabei zu sein. Sie kommen nach ihrer normalen Arbeitszeit, um ihr Talent in dem Sandteppich auszuleben. Sie werden dafür auch nicht bezahlt. Das Einzige ist ein kleiner Obulus, der mehr einen symbolischen Wert hat. Der Sandteppich ist auch Teamarbeit und wir sprechen uns ab, wer wann Zeit hat.
Muss man religiös sein, um diese Arbeit zu tun, und wer wählt die Motive aus?
Religiosität ist nicht die Voraussetzung für diese Arbeit. Aber ich gebe zu, dass man, wenn man – so wie ich – so viele Jahre dabei ist, dann beginnt man an eine höhere Macht zu glauben. Wenn wir das Schutzdach aufgespannt haben, beginnen wir mit dem Vorzeichnen und der Markierung des Rahmens. Dieser wird von 45.000 zehn Zentimeter langen Bambushölzchen gelegt. Würde man sie nebeneinander legen, wäre das Muster etwa einen Kilometer lang. Danach werden die Fugen abgedeckt, vorgezeichnet und mit dem Sandmalen begonnen. Unwetter, wie Sturm und Regen, würden unsere Arbeit schnell zunichte machen. Der Sand wird nämlich ohne Hilfsmittel, wie fixierendem Kleber, gestreut. Aber jedes Jahr erleben wir, dass der Himmel uns wohlgesinnt ist, und es ist in 20 Jahren kein Wetterphänomen aufgetreten, das den Sandteppich verhindert hätte. Ist das nicht ein himmlisches Zeichen?
Das Motiv denken wir uns in der Gruppe der Alfombristas aus und sprechen es natürlich mit dem Priester der Pfarrkirche ab. Normalerweise gibt es da keine Probleme. Auch aktuelle Themen werden manchmal eingebunden. In diesem Jahr lautet das Thema zum Beispiel „Gott bringt uns seinen Sohn“. In der Gestaltung beziehen wir uns unter anderem auf das sogenannten „reisende Kreuz“, dass der Papst Johannes Paul II. vor acht Jahren der Jugend übergeben hat, und das seitdem rund um den Erdball getragen wird. Letztes Jahr war es auch in La Orotava und anderen kanarischen Gemeinden zu Gast. Außerdem wird der Papst anlässlich des Weltjugendtages im August in Madrid zu Besuch sein. Auch dies ist im diesjährigen Teppich symbolisch versteckt. Eigentlich wollten wir in Madrid, zu Ehren des Papstes, auch einen Sandteppich gestalten, aber das hat leider nicht geklappt.
Was bewegt Sie jedes Jahr aufs Neue, so viel Engagement in diesen Teppich zu legen?
Alle Alfombristas sind eng mit der Tradition La Orotavas verbunden. Wir sind stolz darauf, dieses wichtige Ritual lebendig zu halten. Es ist eine Mischung aus Leidenschaft für die Kunst, die Tradition und unsere religiösen Wurzeln. Oft werden wir auch in andere Länder eingeladen, um eine Kostprobe unserer Teppiche zu geben. Wir waren zum Beispiel schon in San Antonio in Texas, in Mexiko, in Bilbao, Madrid und Cádiz auf dem spanischen Festland oder auf der ITB in Berlin zu Gast. Überall werden diese Teppiche mit großem Respekt bewundert. Es ist schön, Teil von so etwas Besonderem zu sein. Im Jahr 2007 kam der Sandteppich von La Orotava sogar ins Guinness Buch der Rekorde. Mit einem 859,42 Quadratmeter großen Sandteppich stellten wir einen Weltrekord auf, den wir bis heute halten. Aus einer kleinen Geste von Leonor de Castillo, die 1847 den ersten Blütenteppich zur Corpus Cristi Prozession legte, ist eine Tradition geworden, die bis in die heutige Zeit von großer Bedeutung ist. Im Jahr 1905 entstand übrigens der erste Sandteppich auf der Plaza als Teil eines besonderen Festaktes zu Ehren eines hohen Besuchs. Seit 1912 oder 1918, das weiß man nicht so genau, ist er Teil des Corpus Cristi Festes. Es ist ja nicht nur unser Sandteppich, sondern auch die wunderschönen Blütenteppiche, die mit viel Herzblut von den Menschen gelegt werden. Medien aus Japan, Frankreich, Deutschland, Großbritannien und vielen anderen Ländern berichten über unser Corpus Cristi Fest.
Don Domingo, in Tacoronte wird zum Beispiel diese Tradition imitiert. Auch dort entsteht ein Sandteppich. Stört sie das?
Nein überhaupt nicht, es ist doch auch schön, dass Traditionen weiterleben. Außerdem wird der Sandteppich von La Orotava immer etwas ganz Besonders bleiben. Denn wir sind die einzigen, die mit echtem Vulkansand aus den Cañadas arbeiten. Als der Nationalpark des Teide zum Weltkulturerbe erklärt wurde, sicherte sich die Stadt La Orotava das Recht, den Sand für das Corpus Cristi Fest aus dem Naturschutzgebiet holen zu können. Es gibt 22 verschiedene reine Naturfarben, und durch die Mischung erhalten wir weitere Farbnuancen. Wir holen den Sand an ungefähr acht verschiedenen Stellen. Dort finden wir alle Farben. Außerdem achten wir immer darauf, so wenig wie möglich in die Natur einzugreifen. Wir sammeln das auf, das die Natur durch Erosion des Bodens oder die Schneeschmelze für uns „vorbereitet“ hat.
Können Sie uns das Motiv des diesjährigen Teppichs ein bisschen erklären, damit wir den Hintergrund besser verstehen?
Der Teppich in diesem Jahr rankt sich in erster Linie um die Figur Jesu. Damit beziehen wir uns auf den XXVI. Welt-Jugendtag, der im August den Papst nach Madrid führen wird. Wichtig ist auch das „reisende Kreuz“, das Papst Johannes Paul II. Im Jahr 2003 an die Jugend übergab und das seither um die Welt geht. Dazu gehört das Bildnis der Muttergottes Maria. Damit wollte der Papst zum Ausdruck bringen, dass Maria ihre Hand schützend über die Jugend hält. Das Bild ist eine Imitation eines byzanthischen Gemäldes aus dem 14. Jahrhundert, das in der Basilica Santa Maria Mayor in Rom als Original zu bewundern ist.
Der Teppich besteht in diesem Jahr aus sechs miteinander verbundenen Einzelteppichen. Außerdem bilden 12 inseltypische Blüten den Rahmen. Zwei weitere Blumenmotive sind im zentralen Bereich. Insgesamt sind es also 20 große und kleine Einzelmotive. Damit feiern mein Team und ich versteckt mein eigenes kleines 20-jähriges Jubiläum.
Zentral sind die drei rechteckigen Teppiche, die sieben mal acht Meter groß sind – das Hauptthema ist das Kreuz. Deshalb sieht man in der Mitte, die Kreuzigungsszene Jesu, nach einem Bild des bekannten spanischen Malers Diego Velásquez aus dem Jahr 1632. Der linke Teppich ist die Geißelung Jesu, ein Auszug aus einem Gemälde von W.A. Bouguereau von 1880. Rechts sieht man die Abnahme des Leichnams Jesu vom Kreuz. Dieses Motiv stammt aus einem Gemälde von Annibale Carracci aus dem Jahr 1600. Wenn man darauf achtet, sieht man, dass alle drei Motive den gleichen Hintergrund haben, der dem ganzen eine abstrakte Wirkung geben soll. Die Figur Jesu ist von einem weißen Schatten umgeben. Damit wollen wir ihn aus dem Bild herausheben und in die moderne Zeit herüberholen. Die Botschaft: Der Mensch ist damals wie heute in der Lage zu kämpfen und zu verletzen, aber mit der gleichen Intensität kann er auch bereuen und seinen Weg korrigieren. Die drei kleinen runden Motive beziehen sich auf den 23. Weltjugendtag 2011. Ganz links ist das Logo von Madrid anlässlich dieses Ereignisses 2011 kombiniert mit der Silhouette des Teide. Der kleine Kreis in der Mitte ist das Bildnis Marias, das mit dem Kreuz um die Welt reist. Ganz rechts wird das „reisende Kreuz“ vor einem anderen Kreuz niedergelegt. So schließt sich der Kreis. Der aufmerksame Betracher, der diesen Hintergrund weiß, sieht also viel mehr, als einfach nur ein schönes Bild.
Don Domingo, tut es ihnen nicht leid, wenn die Prozession einfach so über diese mühevolle Arbeit läuft und alles wieder zerstört?
Aber nein gar nicht, das ist ja Teil der Tradition. Wir alle sind mit Freude und Begeisterung sowohl bei der Erschaffung, wie auch beim Verschwinden unserer Sandmalerei dabei. Und schließlich gibt es ja das nächste Jahr und damit auch das nächste Mal...
In diesem Sinne wünschen wir allen Beteiligten und auch allen Besuchern viel Spaß beim diesjährigen Corpus Cristi Fest. Wer sich übrigens für die Kunst der Blumen- und Sandteppiche interessiert, aber nicht zum Datum des Festes auf der Insel ist, dem sei ein Besuch des Teppichmuseums, gleich neben der Casa de los Balcones, empfohlen.
Dieses Museum wird von der Vereinigung der Teppichkünstler und der Stadt unterhalten. Es öffnet montags bis freitags von 10 bis 14 Uhr. Auch die Einnahmen aus dem Verkauf der Programme und Souvenirartikel am Eingang des Rathauses während der Feierlichkeiten, kommt diesem kleinen Museum zugute. Und nicht vergessen, nicht nur der Sandteppich, sondern auch die Blumenmotive sind ein ganz besonderes Erlebnis.
Wer den Menschenmassen entgehen möchte, der kann bereits am Nachmittag einen Bummel durch die Innenstadt machen. Dann ist nahezu alles fertig, aber der Andrang noch nicht so groß.