|
Frau Kleine, sie sind seit rund fünf Jahren unterwegs und haben bereits 32 Länder und Inselgruppen besucht. Wie kam es dazu?
Alles begann drei Jahre vor dem Start mit einer Wette in meinem Frauengesprächskreis, in dem ich von meiner Bewerbung beim WDR Bielefeld zur einwöchigen Ostwestfalen-Radtour erzählte. Von 300 Bewerbern wurde ich mit 30 anderen auserwählt, weil ich angab, dass ich eine versierte Radlerin sei, die täglich 100 km Rad fährt, dabei besaß ich nicht einmal ein Fahrrad und musste mir eins von meiner Stammtischschwester leihen. Ich radelte eine Woche mit. Meine Begeisterung zum Fahrrad wuchs so sehr, dass ich mir ein einfaches Rad kaufte. Als ich es durch die Stadt nach Hause schob, begegnete mir eine Nachbarin und fragte: „Was wollen Sie denn mit dem Fahrrad?“ Ich antwortete spontan: „Na um die Welt fahren!“ Aus den lässig dahin geworfenen Worten wurde eine Idee, die mich fesselte. Ich verschlang Bücher übers Weltradeln und kurz vor meiner Frühberentung war für mich klar, dass jetzt etwas ganz Neues und Aufregendes begann. 1.900 km übte ich quer durch Deutschland das Radfahren und fuhr das von PATRIA gesponserte Rad ein. Anfangs nahm mich keiner ernst – sogar meine Töchter glaubten, dass ich bestimmt bald wieder auf der Matte stehen würde. Doch sie hatten sich getäuscht. Meine erste Etappe führte mich nach Suriname, nach Südamerika. Per Boot fuhr ich über die Grenze nach Französisch Guyana. Später ging es in Costa Rica weiter. Zweieinhalb Jahre war ich glücklich unterwegs. Später verlief meine Route durch Asien. Ab Thailand nach Kambodscha. Ich besuchte Saigon in Südvietnam, die Philippinen, Laos und Südchina. Ich Radelte über Malaysia nach Singapur, später in Südindien bis an die Südspitze des Landes. Auf Borneo bin ich geradelt und reiste durch Gegenden, die bis heute noch auf keiner Landkarte verzeichnet sind. Ich lebte eine Woche in Malaysia bei den Ureinwohnern der Orang Asli, die mit Giftpfeilen bis zu 100 Metern Affen in den Bäumen erlegten. In Kuala Lumpur erlebte ich puren Luxus und zugleich Burma-Flüchtlinge in bitterster Armut lebend. Hier klafft die Schere zwischen arm und reich unvorstellbar weit auseinander. Erst kürzlich kam ich von Israel, Ägypten und Jordanien zurück. Aus Ländern, die wegen der innerpolitischen Spannungen auch gefährlich und recht anstrengend waren. Man wusste nie, ob man nicht im nächsten Augenblick in einen Israelischen oder palästinensischen Konflikt geraten könnte oder ob unter Umständen eine Bombe am Busbahnhof oder sonst wo explodiert. Mich umgaben Menschen mit MPs im Anschlag, die diese Waffen, wie andere Leute ihre Handtasche, über die Schulter trugen. Bevor ich nun weiter ziehe entspanne ich mich auf Lanzarote, Teneriffa und Fuerteventura. Irgendwann erwartet mich dann Kanada, ein „zivilisiertes“ Erstweltland.
Frau Kleine, sie sind immer wieder unterwegs mit dem Fahrrad. Wie kann man sich das vorstellen. Wie sieht da ihr Alltag aus?
Ganz einfach, was ich bei mir habe, passt in vier Radtaschen und eine Lenkertasche oder in einen mittelgroßen Rollenkoffer. Materielles lässt man daheim und sollte bereit sein sich einiges gefallen zu lassen. Ich habe gelernt, dass man sehr wenig braucht. Ich reise und radele ohne Eile auch ohne Vorgaben mein eigenes Tempo. Sind Berge zu hoch, nimmt mich ein Lastauto oder der Bus mit. Ich benutze für große Distanzen Nachtbusse, -Züge oder die kleinen Inlandflieger. Dann steige ich aus, sattele meinen Drahtesel und trete in die Pedale. Manches Mal nächtigte ich schon in Hostels mit verwanzten Betten oder in 12-Betten-Schlafsälen. Ich habe auch schon im Straßengraben oder in der Wildnis kampiert. Auch suchte ich mir schon mal mit meinem Zelt in den Vorgärten der Einheimischen ein Plätzchen zum Schlafen. Es ist wahr, je einfacher die Bevölkerung, umso gastfreundlicher ihr Angebot für ein Gästebett. Oft halfen mir Zufallsbegegnungen – Menschen die mir Anlaufstellen bei Freunden und Bekannten vermitteln. Ich spreche ja keine Fremdsprachen und verständige mich oftmals nur mit der Gestik. Eine Sprache, die weltweit verstanden wird. Besonders interessieren mich die Eingeborenenstämme, Naturvölker oder Ureinwohner in den verschiedenen Ländern. An ihrem Leben hautnah teilzunehmen fasziniert mich. Da waren die Kuna in Panama und Embera, die noch mit Lendenschurz im Urwald leben, die Mayas in Guatemala und Haki Pikis in Indien. Ich sah freilebende Menschenaffen, Anakondas und viele gefährliche Tropentiere.
Ich lebe immer im Hier und Jetzt – das Morgen kümmert mich wenig. Mit der Einstellung bin ich gut voran gekommen. In den Städten radele ich einfach drauf los oder ins nahe Umfeld und schau, was mir der Tag so bringt. Oftmals aß ich nur Reis und Bohnenpaste. Frittierte Kakerlaken und Spinnen, die in Asien als Delikatesse gelten, dazu konnte ich mich aber nie überwinden. Undefinierbare Speisen, von denen ich nicht wusste was ich eigentlich aß, das kam schon manchmal vor. Die hatte ich halt respektvoll zu essen.
Sie sind als Frau alleine unterwegs – haben sie nicht manchmal Angst, und wo hat es ihnen besonders gut gefallen?
In der Regel begegne ich wirklich viel Offenheit. Leider brachte ich mich aber auch unbewusst in Situationen die mir nicht ganz geheuer waren. Zum Beispiel im Urwald, wenn man Einbaum fährt und Krokodile am Ufer auf der Lauer lagen oder als ich den Slum auf den Philippinen und in Managua, der Hauptstadt Nicaraguas sah, dann hatte ich schon ein mulmiges Gefühl. Auch als ich dort nur eine Radumrundung vor dem tiefen Loch eines noch aktiven Vulkanes stand. In Honduras wurde ich mit einer Pistole überfallen, verletzt und ausgeraubt. Ich kam in ein Fußbodenlazarett. Den Giftstich eines Skorpions habe ich auch überlebt. Da reichte meine Notfallapotheke leider nicht mehr aus, ich musste mich behandeln lassen. In Zentralamerika kann man gut reisen und Radfahren, Mexiko und Guatemala habe ich geliebt.
Die vielen Begegnungen haben in ihnen Spuren hinterlassen. Sie weltradeln unter anderen auch für einen guten Zweck?
Wenn man wie ich beinahe selbstlos dauerreist, begegnet man den unterschiedlichsten Kulturen und kaum zu erklärenden extremen Lebensbedingungen. Für mich zählen natürlich nur die Erinnerungen und die Abenteuer und für später die Betrachtungen meiner Erlebnisse anhand meiner Fotos. Aber auch die „Erfahrungen“ im wahrsten Sinn des Wortes. Auf meinen Webseiten kann man unter www.grannies-bike-world-trip.de etwas über Weltradeln für einen guten Zweck lesen. Dafür setze ich mich ein. Und wenn ich Glück und etwas Geld für Vorträge oder Presse-Berichte erhalte, spende ich es an Hilfsorganisationen in Guatemala.
Nach so viel Abenteuer radelten sie in Lanzarote, sind zurzeit in Teneriffa und kommen noch nach Fuerteventura. Ist das ein Kontrast?
Ich bin hier, um zu pausieren und um zu schreiben. Ich genieße die wunderschönen Kanaren hier auf Teneriffa und hatte sogar einen zwanzigminütigen Empfang beim Inselpräsidenten Ricardo Melchior. Ich staunte über sein beinahe akzentfreies Deutsch. Er erzählte mir von seiner Studentenzeit in Deutschland und ich ihm vom Weltradeln. Ich danke dem Präsidenten für die einzigartige Begegnung und die Zeit, die er sich für mich nahm. Man fuhr mich hier mit dem Auto quer und rund um das traumhafte Teneriffa. Ich erlebte Klima, Landschaften und wundervolle Menschen. Ist doch klar, dass man hier überwintern möchte. Ob Kurz- oder Langzeitaufenthalt, es geht auch ohne prall gefüllte Geldbeutel und wer weiß, vielleicht werde auch ich später auf irgendeiner Insel der Kanaren einmal überwintern.
Sie stehen kurz vor dem nächsten Abenteueraufbruch. Wie sind ihre Pläne und was würden Sie anderen Senioren raten, wenn sie in Rente gehen?
Also, Kanada steht ganz oben auf meiner Reiseliste. Darauf freue ich mich sehr. Ich bin schon mit vielen Fluggesellschaften geflogen und fliege jetzt auch wieder mit meinem Sponsor „Condor“. Dafür bin ich sehr dankbar.
Anderen Senioren kann ich nur raten, sich nicht auf die Parkbank zu setzen um abzuwarten, dass die Zeit davon rennt. Auch im Alter kann man sich noch Träume erfüllen und alles Mögliche machen. Viele trauen sich nicht oder können sich nicht loslösen, klammern an materiellen Dingen, am Häuschen, am Garten, an den Kindern, oder Enkeln. Ich rate zum Loslassen und gesundem Aktivbleiben, denn das hält den Kopf und Körper jung.
Die sympathische Biker-Omi radelt mit aller Zeit der Welt um die Welt und für die Welt. Für die Freiheit der Menschen, Erhaltung der Natur. Sie radelt um weltweite Völkerverständigung, Menschlichkeit und globalen Frieden – das ist ihre Botschaft. Wir wünschen Brigitte Kleine auch in Zukunft faszinierende Begegnungen und vor allem Momente, in denen sie vor Glück den Atem anhält, und weiterhin viele glückliche Fügungen auf ihrer Welt-Entdeckungs-Tour.
Von Sabine Virgin